Emmi Pikler Wege der Entfaltung e.V.

Schon wieder wird es interessant.

"We're having a heat wave,
a tropical heat wave,
the temperature's rising, ..."
(Irving Berlin, 1933, gesungen von Ethel Waters)

Es ist sehr heiß. Wie sich manche Tiere im Winter in ihre Höhlen zurückziehen, ziehe ich mich neuerdings im Sommer bei großer Hitze in meine Wohnung zurück. Fenster und Rollos stimme ich den ganzen Tag über sorgfätig aufeinander ab, nach dem Stand der Sonne, dem Wind und dem Regen, damit es drinnen so kühl wie möglich bleibt – meine „Klimaanlage“.

Doch wenigstens am frühen Morgen habe ich dank der langen Sommertage Ausgang. Gegen fünf, halb sechs bin ich gerne draußen, wenn der Tag beginnt. Ich wetteifere mit der Sonne: Ich bin gerne als Erste auf und freue mich an dem ersten sanften Licht, das anfängt, sich auszubreiten, bis ein glühendes Farbenspiel den Auftritt der Sonne ankündigt. Und ich genieße ganz besonders die wohltuende Kühle.

Ich trete aus dem Haus und bleibe stehen. Plötzlich überkommt mich ein Unbehagen, das ganz anders ist als die vertraute Schwäche, die mich so oft am Spaziergehen gehindert hat. Die Entfernung bis zu dem Wehr am Ende des Weges kommt mir unüberwindbar vor. Wie ich die paar hundert Meter bis zur nächsten Ecke schaffen soll, ist mir unvorstellbar.

Trotzdem gehe ich los, genauer: ich torkele los und halte nach einigen Schritten wieder an. So geht das nicht. Ich bleibe stehen und fange noch einmal an, langsamer, biege um die Ecke, zwei kleine Blocks geradeaus bis zur Isar. Hier fange ich an, mich in Gedanken zu verlieren. Unbehagen und Torkeln sind kein Thema mehr.

Das nächste, was ich weiß: Den halben Weg zum Wehr habe ich bereits hinter mir. So einfach geht das. Und ich frage mich: Was war das vorhin nur für ein merkwürdiges Gefühl?

Meine Sommerferien haben schon längst angefangen. Bis zum Herbst bleibe ich zuhause, meine Wunschferien. So viel es auch zu tun gibt, ich habe Zeit. Das ist purer Luxus.

Manches von dem, was ansteht, fällt mir leicht, manches nicht. Ich erledige eins nach dem anderen. Die Sachen, die mir schwerfallen, fange ich gar nicht erst an. Doch allmählich nähern sich Termine für die Dinge, denen ich bislang ausgewichen bin. Mit jedem Tag, den ich sie weiter hinausschiebe, wird es schwieriger anzufangen. Ich greife auf alle meine Tricks zurück, versuche, mich selbst zu überlisten oder zu überwinden, bin aber immer schlauer. Nichts funktioniert.

Als das merkwürdige Gefühl des Unbehagens und der Hilflosigkeit, das mich vor einigen Tagen bei meinem Morgenspaziergang erfasst hat, noch ein weiteres Mal auftaucht, horche ich auf. Das ist doch absurd. Statt mir zu erlauben, mich beim Spazierengehen in Gedanken zu verlieren, möchte ich wissen, was eigentlich los ist.

Die Antwort kommt in Form von Erinnerungen und Gefühlen, die mich weit in die Vergangenheit zurückführen: als Kind in der Grundschule, die Geborgenheit zu Hause, die Ausflüge ohne Familie in das Leben und die Welt außerhalb der vertrauten Umgebung.

Der Weg zum Wehr hin und zurück dauert eineinviertel Stunden. Früher schaffte ich das in 50 Minuten. Wie oft habe ich über die Jahre diese Zeit genutzt, um über wichtige Dinge nachzudenken. Am Anfang des Weges der gehetzte Gang und das Grübeln; eine Pause am Wehr, um von der Höhe aus über die Isar hinaus nach Norden in die Ferne zu schauen; auf der Hälfte des Weges zurück der Gang wieder ruhig und stetig, die Gedanken nicht mehr getrieben, der Blick weit.

Und was ist dieses Mal passiert? Was war an diesem Tag los? Genau kann ich das gar nicht sagen. Ich weiß es nicht. Aber was ich sagen kann, ist, dass ich mich zu Hause gleich an die weniger angenehmen Aufgaben gemacht habe.

solvitur ambulando -- it is solved by walking.

Peggy Zeitler, August 2017

idk

David, 4 Jahre, 10 Monate