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... meiner Lieblingsbeschäftigungen, Stehen eine meiner größten Herausforderungen. Beide sind mir große Lehrmeister.

Seit meiner Kindheit habe ich eine Neigung, schwach zu werden, wenn ich länger stehen muss. Als ich noch zur Schule ging, gehörte es zum allmorgendlichen Ritual, dass wir gemeinsam aufstanden, die Hand auf das Herz legten und einstimmig dasTreuegelöbnis, the Pledge of Allegiance to the flag of the United States, aufsagten: "Ich schwöre Treue auf die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika ...". Dann sprachen wir das Vater Unser. Mir wurde regelmäßig schwarz vor Augen von dem langen Stehen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich jemals länger würde stehen können, ohne zu leiden. Ich war daher recht misstrauisch, als wir es einmal wagten, an der Abendkasse Stehkarten für ein Konzert mit dem Beaux Art Trio zu kaufen. Umso größer war mein Erstaunen, als ich das gesamte Konzert gut durchstand und die Musik genoss.

Beim Gehen und Stehen habe ich gelernt zu unterscheiden, ob ich auf dem Boden bin oder über dem Boden. Gut geht es mir, wenn ich auf dem Boden stehe. Dann arbeite ich mit der Schwerkraft zusammen und teile mit ihr: Ich gebe ihr einen angemessenen Teil meines Gewichtes ab und trage selber meinen Teil. Mehr als meinen Anteil oder weniger zu tragen, fühlt sich nicht gut an und ist ermüdend. Der Boden - oder die Erde, wenn Sie so wollen - ist der dritte Partner im Spiel. Ohne die Erdoberfläche gäbe es keine Grenze, bis zu der mich die Schwerkraft ziehen könnte. Also setzt der Boden sowohl der Schwerkraft als auch mir Grenzen. Uns beiden sagt er: Bis hierhin und nicht weiter. Mir sagt er zudem: Ab hier geht es wieder aufwärts. Und mit dem Widerstand, den er mir leistet, zeigt er mir den Weg nach oben.

Ich liebe dieses Spiel mit dem Boden und der Schwerkraft. Es ist ein ständiger Dialog. Wenn ich mich dabei mit hochgezogenen Schultern erwische, weiß ich, dass ich auf meine beiden Partner nicht höre. Ich bin so sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, dass ich sie vergessen habe und mich so verhalte, als ob sie nicht existierten.

Wenn ich vor Kraft strotze, zeige ich ihnen gleichsam mit erhobenem Kopf, dass ich sie nicht brauche und dass ich es - vermeintlich - alleine schaffe. In unsicheren Momenten gebe ich ihnen mit ängstlicher Zurückhaltung zu verstehen, dass ich ihnen nicht traue. In traurigen Zeiten schließlich sage ich ihnen mit flachem Atmen, dass ich Hilfe brauche, und dann lasse ich mich von ihnen sanft wieder aufrichten. Das Spiel mit dem Boden und der Schwerkraft macht mir mein unsinniges Verhalten, mein Grübeln und Spekulieren, bewusst und holt mich zurück auf den Boden der Realität. Meine beiden Gesprächspartner verlangen, dass ich mich ihnen mit voller Aufmerksamkeit widme, was nicht bedeutet, dass ich ständig auf sie schielen oder mich auf sie konzentrieren soll. Alles, was sie wollen, ist, dass ich mich bedingungslos auf sie einlasse. Und sie würdigen es, wenn ich mich tatsächlich so verhalte, indem sie mir Höhenflüge der Wahrnehmung und unerwartete Einsichten schenken.

Sie protestieren, wenn ich eilig und ungeduldig werde und überall nach Abkürzungen suche. Sie möchten, dass ich mich für die kleinsten Details interessiere und nichts auslasse, wenn ich etwas tue. Sie lieben die Umständlichkeit!

Wenn ich dann vor lauter Überforderung schwach werde, ziehen sie an mir, bis ich merke, dass es Zeit für eine Pause ist. Und wenn ich nur noch vom Denken bestimmt werde, lassen sie mich spüren, dass ein bisschen mehr Fühlen nicht schaden täte.

Das Beste aber an ihnen ist, dass sie immer da sind. Es gibt nie Grund, mich einsam zu fühlen.

Peggy Zeitler, August 2010