Emmi Pikler Wege der Entfaltung e.V.

aus: Dr. med. Mária Vincze
Mütterliche Liebe - professionelle Liebe

Die Filmrollen drehen sich schnell. Ein Säugling wird im Lóczy gebadet. Für einen Außenstehenden ist die Langsamkeit der Bewegungen der Betreuerin fast unerträglich: Sie reinigt die Hautfalten mit einem Öl getränkten Wattebausch, legt den Säugling mit sicherer Hand in das Badewasser, lässt ihn nach Herzenslust plantschen, und trocknet ihn sanft ab. Alle Bewegungen des Kindes begleitet sie mit Worten: Sie informiert es über alles, was sie mit ihm macht und machen wird, und “antwortet” auf seine kaum hörbarer Töne. Das ruhige Zusammensein dauert nur einige Minuten. Der Film läuft weiter. Jetzt sehen wir dieselbe Betreuerin, wie sie einen anderen Säugling badet, oder eine andere Betreuerin mit demselben Kind. Der Vorgang des Badens läuft immer gleich ab: die gleiche Reihenfolge, das gleiche Reinigen der Hautfalten, die gleichen behutsamen Hände, die gleichen Gespräche. So geht es Tag für Tag, Kind für Kind. Immer gleich für den, der die Freude bei der Begegnung von Kind und Betreuerin nicht erkennt, nicht die Wärme ihrer Stimme spürt und der nicht sieht, dass in der heutigen Begegnung alle vorangegangenen enthalten sind und der auch nicht sieht, wie jedes Kind seine ganz individuelle Art hat zu Spielen. Für diesen Beobachter ist das alles auf fast unerträgliche Weise langweilig. Kann bei dieser ”langweiligen Routine” überhaupt von Gefühlen der Betreuerin die Rede sein?

(...) Was unterscheidet die mütterliche Liebe von der Liebe der Betreuerin?

Ich versuche erst gar nicht zu formulieren, was mütterliche Liebe bedeutet. Da würde ich mich unweigerlich in Sentimentalität verlieren. Jeder denkt darüber anders, jeder empfindet anders. Das ist individuell ganz verschieden. Wie der ungarische Dichter Kosztolányi sagt: „Es gibt keine zwei gleichen Blätter auf einem Baum“ - so gibt es auch keine zwei gleichen Mutter-Kind-Beziehungen.

Wir kommen einer Antwort näher, wenn wir die Interaktionen der Mutter-Kind Zweiheit beobachten, wie das Myriam David und Genevìeve Appell getan haben. Sie zeigen, dass jede Mutter-Kind-Beziehung in ihrer Art einmalig und komplex ist, und dass sich dies konstant und spezifisch in Interaktions-Mustern ausdrückt.

(...) Ein Student, der seine Kinder allein erzieht, fragt Bettelheim: „Glauben Sie, dass nur eine Mutter Mutter sein kann?

„Bestimmt“, antwortet Bettelheim, „nur eine Mutter kann Mutter sein. Es ist besser, man bleibt, was man ist, und möchte sich nicht in etwas verwandeln, was sowieso niemals gelingen kann. Ein Vater soll Vater bleiben. Der Versuch sich in eine Mutter zu verwandeln würde den Kindern sowohl Mutter als auch Vater entziehen. Nur eine Mutter kann Mutter sein, eine Adoptivmutter kann nur Adoptivmutter sein, und ein Vater nur Vater...“ Und - wir fügen hinzu - eine Betreuerin kann immer nur eine Betreuerin sein.

Die Art der Liebe, die die Betreuerin in einer Einrichtung (bleiben wir jetzt im Lóczy) den ihr anvertrauten Kindern gibt, unterscheidet sich von der mütterlichen Liebe.

Jede Mutter betreut und erzieht ihr Kind auf ihre eigene Art, entsprechend ihren Gefühlen, ihren besten Wissen und ihrer Überzeugung. Das steht ihr zu. Sie wird oft von der herrschenden Mode beeinflusst, die zum Beispiel unbedingten Gehorsam fordert oder übermäßige Nachsicht. Es ist ihr Kind.

Die Betreuerin darf sich nicht ihren Gefühlen hingeben. Das ihr anvertraute Kind ist nicht ihr eigenes. Sie muss diesen schweren Beruf erlernen, der den Körper, die Seele und den Geist fordert. Nur wenn ihr das gelingt, werden sich die Kinder in ihrer Obhut ungehindert entwickeln, sich wohl fühlen. Die vertraute Beziehung zwischen ihr und dem Kind wird später die Beziehung der Kinder zu den Eltern in einer Familie prägen. Dieser Beruf setzt einen langen, vielfältigen Lernprozess voraus. Die Kenntnisse vermitteln die Fachleute des Instituts der Betreuerin direkt und indirekt. Auch die erfahrenste Betreuerin braucht für ihre Arbeit ständige Unterstützung.

Mária Vincze, Budapest, 2008
Foto: Ayla Czimmek